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Keine Angst vor Details!
Warum ein detailliertes Wahlprogramm gut ist

Im Nachgang der Landesmitgliederversammlung 2012.1 in Stralsund gab es immer wieder Diskussionen, wie denn der perfekte Antrag für ein Wahlprogramm aussehen könnte. Eher eine kurze prägnante Positionierung oder lieber eine ausgearbeitete detaillierte Forderung. Ich habe dazu meinen Standpunkt in einem Meinungsbild formuliert und ins LiquidFeedback gestellt. Das Meinungsbild erreichte dort leider keine Mehrheit, allerdings bin ich noch immer der Meinung, dass wir mehr Details im Wahlprogramm wagen sollten. Daher habe ich es hier noch einmal konserviert.

Meinungsbild

Wir haben die einzigartige Situation, in der jedes Mitglied das Wahlprogramm der Piraten gestalten kann. Wir sollten daher jeden Programmantrag für sich vor dem Hintergrund unserer gemeinsamen Ziele diskutieren und ihn allein mit der Fragestellung: „Ist dies eine Position, die wir vertreten wollen?“ abstimmen. Wie am Ende das Wahlprogramm aussieht, wie es gegliedert und aufbereitet ist, welche Themenbereiche es gibt und wie der Detaillierungsgrad aussieht, soll dabei nicht berücksichtigt werden. Das Ausarbeiten eines Wahlprogrammes auf Basis der gefassten Beschlüsse ist ein zweiter Schritt, der vor der jeweiligen Wahl passieren muss.

Begründung

Auf der letzten Landesmitgliederversammlung in Stralsund gab es immer wieder Diskussionen über den Detaillierungsgrad von Programmanträgen. Mehrere Anträge wurden inhaltlich durchaus befürwortet, letztlich jedoch nach langen Debatten, die nicht mehr den Antragstext im Kern hatten, wegen „zu viel Details“ abgelehnt. Eine anschließende Diskussion darüber, wie viele Details unser Wahlprogramm aushält, haben wir seitdem nicht ausführlich geführt. Mit diesem Meinungsbild möchten wir rechtzeitig vor der nächsten Mitgliederversammlung herausfinden, wie die Meinung zu Details aussieht. Anregungen sind dabei selbstverständlich gern gesehen!

Argumente gegen Details

Wir möchten im folgenden kurz auf Argumente eingehen, die wir in der Diskussion über den Detaillierungsgrad des Wahlprogrammes gehört haben.

„Das Wahlprogramm hat so keinen einheitliche Detaillierungsgrad.“

Das stimmt, und dasselbe gilt für das Grundsatzprogramm und wird auch für das Bundestagswahlprogramm 2013 gelten. Wir sind zwar schon lange von der Einthemenpartei entfernt, sind allerdings auch noch nicht bei einem Vollprogramm angelangt. Das halten wir auch für sehr unrealistisch, da wir weder im Land noch im Bund so breit aufgestellt sind, dass wir schon zu allen Themen eine fundierte Meinung aufbauen konnten. Alleine in den Kernthemen wie Urheberrecht, mehr Demokratie oder Netzpolitik sind wir selbst nach Jahren noch nicht fertig damit, den vermeindlichen Konsens zu Papier zu bringen.

Selbstverständlich wäre es unbefriedigend, ein mehrseitiges Konzept zum Schulobstprogramm in ein Wahlprogramm aufzunehmen, das aber gleichzeitig im Bereich Umweltpolitik nur Allgemeinplätze enthält. Allerdings wäre dies dann jedoch nur ehrlich: Es zeigt, wo wir momentan keine ausreichenden Kompetenzen haben und gibt dem Wähler auch kein falsches Signal, dort von uns fundierte Meinungen zu erwarten. Unser Wahlprogramm soll ja gerade die Visitenkarte sein, mit der wir uns für die Verantwortung in den Parlamenten bewerben. Und der Detaillierungsgrad, die Themenauswahl und die Themenschwerpunkte des Wahlprogramms spiegeln dabei den Stand der Debatte wieder. Schlussendlich würde ein einheitlicher Detaillierungsgrad dann zwangsläufig bedeuten, dass wir ausgearbeitete Standpunkte vereinfachend zusammenfassen müssen und gleichzeitig in anderen Themen vage bleiben.

Unterschiedliche Detaillierung im Wahlprogramm zeigt ehrlich und transparent den Stand der Debatte.

„Wir bevormunden den Bürger, wenn wir so viel regeln.“

Wahlprogramme sind unserer Meinung nach ein wichtiger Aspekt in einer parlamentarischen Demokratie. In dem Moment, in dem Vertreter gewählt werden, die über einen gewissen Zeitraum nur ihrem Gewissen verantwortlich handeln, fehlt danach die Möglichkeit des Einzelnen, sich bei gewissen Fragen einzubringen. Ein Wahlprogramm bietet dafür idealerweise einen Leitfaden an, dem sich der Vertreter verpflichtet sieht. Durch überhand nehmenden Opportunismus bei Koalitionsverhandlungen, dreisten Lobbyismus und schlichter Wählertäuschung haben Wahlprogramme leider sehr stark an Attraktivität verloren. Und genau das wollen wir ändern! Wir haben den Traum einer flüssigen Demokratie, die mit die Mitbeteiligungmöglichkeiten jedes einzelnen stärkt und von transparenten Meinungsfindungsprozessen, in denen Politik nachvollziehbar wird.

Dort sind wir allerdings noch nicht angekommen. Bis echte demokratische Gleichberechtigung herrscht, wird es wohl noch eine Weile dauern. Bis es soweit ist, müssen wir bei uns selbst beginnen. Wir bieten einen in der Parteienlandschaft einzigartigen Beteiligungsprozess, in dem jeder für jeden sichtbar an Lösungen arbeiten kann und die von jedem Mitglied über Liquid Feedback oder auf einer Mitgliederversammlung abgestimmt werden. Bevor der Bürger uns vertrauen soll, sollten wir uns selbst vertrauen und das ausarbeiten, was wir für richtig halten. Die Piraten sind eine Gruppe von Menschen, geeint durch gemeinsame Ideale und der Vision einer besseren Welt. Lasst uns überlegen, wie wir die Fragen beantworten würden und lasst uns gefundene Antworten selbstbewusst diskutieren.

Auch würde Bevormundung heißen, jemandem ein Konzept aufzudrängen zu versuchen. Das wollen wir nicht tun – wir wollen Angebote machen, konkrete Angebote. Wir wollen für die Menschen Verantwortung übernehmen – dazu gehören verlässliche Aussagen, die nicht von ständigem Opportunismus betroffen sind. Wir wollen weiterhin Problemen die Zeit einräumen, die sie zur Lösung brauchen. Und diese Zeit haben wir jetzt und zwar gemeinsam. Wir sollten uns jetzt nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen und die Lösung von Problemen später einigen wenigen gewählten Vertretern überlassen.

Konkrete Lösungen bevormunden nicht, sondern schaffen Vertrauen und machen uns berechenbar und nachprüfbar.

„Ein so langes Wahlprogramm liest doch niemand.“

Dann ist es doch kein Problem, dass wir konkret werden – ob der Bürger 100 oder 1000 Seiten nicht liest, spielt dann ohnehin keine Rolle. Leider. Wir diskutieren immer wieder über ein „neues Betriebssystem“ für die Politik. Betriebssysteme sind dabei unglaublich komplex, da sie für alle möglichen Situationen geeignet reagieren müssen. Dazu ist ein kompliziertes Programm notwendig. Aber Betriebssystem können auch sehr einfach sein. Mit geeigneten Techniken kann auch ein Laie einen Überblick bekommen, und ein Experte in sehr kurzer Zeit die gewünschte Information finden. Zuletzt kann auch ein Betriebssystem Neugier erwecken und es kann Spaß machen, es zu erforschen.

Genau so muss unser Wahlprogramm sein. Wir verteilen am Infotisch doch auch keine ausgedruckten Wiki-Seiten mit allen jemals getroffenen Beschlüssen. Wir haben Themenflyer und Kaperbriefe. Mit einer geeigneten Gliederung und Aufbereitung können ist es ein leichtes, unsere Inhalte zu transportieren. Einen Überblick für Neulinge zu schaffen, neugierig zu machen und Interesse zu wecken. Aber auch für detaillierte Fragen Antworten anzubieten. Lasst uns nicht aus Angst vor Komplexität komplexe Probleme außer acht lassen.

Es ist kein Problem, auch lange komplizierte Texte übersichtlich und interessant aufzubereiten.

„Warum muss es ins Wahlprogramm, lass es doch ein Positionspapier sein.“

Warum sollte man sich mit etwas Gutem begnügen wenn es auch sehr gut sein kann? Warum einen Punkt, den man wichtig findet, nur von einer einfachen Mehrheit tragen lassen, wenn man einen Punkt mit mindestens Zweidrittelmehrheit verabschieden kann? Genau hier kommt der Gedanke des Wahlprogramms zu tragen. Hier können wir dem Bürger zeigen: „Wir haben uns Gedanken gemacht, wir haben etwas ausgearbeitet. Und mehr als ⅔ der Piraten auf der Landesmitgliederversammlung sahen dies genauso.“

Denn die dem entgegenstehende Idee – Lasst uns allgemeine Aussagen in Wahlprogramm stellen, wie zum Beispiel „Solidarisches Gesundheitswesen ist wichtig.“ und dies dann über Positionspapiere zu unterfüttern – führt dazu, das wir dem Bürger am Infostand erklären müssten, warum unser Wahlprogramm nur so dünn ist und keine Aussagen hat. Denn die Aussage, wir haben aber viele Positionspapiere wird er wohl nicht verstehen. Denn, zur Wahl hat man ein Wahlprogramm.

Eine Idee die wirklich gut ist, sollte auch ins Wahlprogramm und findet locker ihre Zweidrittelmehrheit. Denn was ist schon ein Positionspapier.

Argumente für Details

Lasst uns unsere Expertise nutzen!

Die Piratenpartei hat durch ihre Vision von einem freien und gleichberechtigten Bürger in einer vielfältigen Wissensgesellschaft viele enttäuschte oder bis dato unpolitische Menschen aus allen Bereichen angezogen. Frei von eingefahrenen Machtstrukturen haben wir viele schlaue Köpfe, die über die Lösungen der kleinen und großen Probleme nachdenken. Wir sollten diese enorme Expertise nutzen, und zwar auch im Detail! Wir sind die mit den Fragen – und diese erst einmal zu finden ist schwer. Aber wir können auch die mit den Antworten sein. Wenn wir Lösungen finden, an die wir selber glauben, dann sollten wir diese stolz präsentieren und anbieten. Die Probleme im Alltag sind oft sehr konkret – da sollten wir auch dort konkret ansetzen und eine Lösung anbieten.

Viele Probleme sind zu wichtig, um nicht gelöst zu werden!

Nur wer Aussagen hat, kann Aussagen treffen!

Die Piratenpartei ist stolz darauf ein Programm zu besitzen, das durch ihre Mitglieder basisdemokratisch entwickelt wurde. Genauso ist die Partei stolz darauf, dass der Vorstand und einzelne Mitglieder die in der Öffentlichkeit auftreten und für die Partei sprechen, ihre eigene Meinung zurückhalten und nur die entwickelten und abgestimmten Punkte vertreten. Das Problem liegt aber hier im System: Man kann nur nach außen vertreten, was man vorher entwickelt und verabschiedet hat. Man kann nicht alles auf das Grundsatzprogramm zurückführen, gerade in der Landes- aber vor allem in der Kommunalpolitik benötigen engagierte Piraten Material an der Hand um am Infostand und im Wahlkampf auf alle Eventualitäten gerüstet zu sein

Wer in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden will, muss auch Material dafür haben.

Lasst uns lernen, Verantwortung zu übernehmen!

Wir haben einen weiten Weg vor uns, um unsere Visionen zu realisieren. Dabei gibt es viel zu tun, und wir wollen nicht darauf warten, dass andere für uns die Arbeit machen. Wenn wir weg davon wollen, dass „die da oben“ für uns entscheiden und wir einfach nur regiert werden, dann müssen wir beginnen, Verantwortung übernehmen. Verantwortung heißt dabei auch, sich mit Problemen auseinanderzusetzen und nach Lösungen zu suchen. Lösungen anzubieten bedeutet, Entscheidungen zu treffen, Möglichkeiten abzuwiegen, sich festzulegen. Das ist nicht leicht, aber es macht uns berechenbar, nachvollziehbar und nachprüfbar.

Wer etwas ändern will, muss auch mal sagen wie.

Lasst uns anders sein!

Wir haben die Chance, dem Wort „Wahlprogramm“ wieder einen positiven Klang zu geben. Ohne leere Versprechungen, ohne vage Allgemeinplätze, ohne Ausflüchte oder Hintertüren. Viele sind unseren Idealen überzeugt und werden uns daher wählen. Andere fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Denen müssen wir zeigen, dass wir sie und ihre Probleme ernst nehmen. Und vielleicht eine Antwort haben. Wenn wir keine Antworten haben, dann können wir gemeinsam nach ihnen suchen.

Wir sind die mit den Fragen, wir haben aber auch Antworten.

 04.10.2012  Niels Lohmann  CC BY-NC-SA  Flattr me